Was ist unter fruchtbringend zu verstehen?

Mündelgeld ist gemäß § 215 Abs 1 ABGB möglichst fruchtbringend anzulegen. Das Wort „fruchtbringend“ ist ein Synonym von ertragreich und fällt daher unter den Begriff der Wirtschaftlichkeit. Wie im Abschnitt über Renditen ausführlich dargelegt wird, hat die Beurteilung der Ertragskraft einer Anlegung – um wirtschaftlich sinnvoll zu sein – stets anhand ihrer Realrendite bzw. anhand der Vermehrung ihres Realwerts zu erfolgen. Wenn die Realrendite einer Kapitalanlage negativ ist, hat sich ihre Kaufkraft bzw. ihr Realwert reduziert, d.h. die wirtschaftliche Position des Anlegers hat sich gegenüber seiner Ausgangslage verschlechtert; offensichtlich wäre es unter diesen Umständen widersinnig, eine Anlegung als ertragreich zu bezeichnen. Eine Investition wird daher sinnvollerweise nur dann als ertragreich gelten, wenn sie den Realwert des angelegten Kapitals vermehrt; mit anderen Worten: eine Anlegung ist dann fruchtbringend, wenn sie positive Realrenditen erzielt.

Ertragsziel zwischen nomineller und realer Werterhaltung:

In Anbetracht der einschlägigen Judikatur werden die möglichen Ertragsziele für Mündelgeld innerhalb eines Intervalls liegen, dessen Minimum die bloße Erhaltung des nominellen Werts und dessen Maximum die Erhaltung des realen Werts ist. Der gesetzliche Vertreter legt das konkrete Ertragsziel unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Mündels innerhalb dieses Intervalls fest. Erfahren Sie in diesem Abschnitt, weshalb der zeitliche Anlagehorizont der schutzberechtigten Person dabei von entscheidender Bedeutung ist.

Wie ertragreich soll die Anlegung von Mündelgeld sein?

Bei jeder Investition besteht naturgemäß ein Zielkonflikt zwischen Ertragserzielung und Sicherheitsbedürfnis, zumal die Erzielung höherer Renditen stets auch mehr Risikobereitschaft erfordert. Nach ständiger Rechtsprechung ist Sicherheit ein unbedingtes Erfordernis der Mündelgeldanlage – fruchtbringend soll die Anlegung hingegen nur nach Möglichkeit sein.[2]  Demnach ist der vorgenannte Zielkonflikt bei der Mündelgeldanlage so zu lösen, daß im Zweifelsfall zugunsten geringeren Risikos auf die Erzielung eines höheren Ertrags zu verzichten ist. Vor diesem Hintergrund stellen sich insbes. folgende Fragen:

  1. Wie ertragreich soll die Mündelgeldanlage im Allgemeinen sein, d.h. was sind jeweils das minimale und das maximale Ertragsziel der Mündelgeldanlage?
  2. Wie ertragreich soll die Mündelgeldanlage im jeweiligen Einzelfall sein, d.h. wie werden bei der Investition von Mündelgeld die persönlichen Umstände des Anlegers berücksichtigt?

Minimum und Maximum der Ertragsziele für Mündelgeld:

Bei der Bestimmung des minimalen und des maximalen Ertragsziels wird maßgeblich sein, daß der gesetzliche Vertreter bei der Mündelgeldanlage einerseits nicht weniger, andererseits aber – im Sinne des in der Rechtsprechung verankerten Primats der Sicherheit – auch nicht mehr Risiko eingehen sollte, als zur Erfüllung seiner gegenüber dem Mündel bestehenden Verpflichtungen erforderlich ist:

  • Wenngleich der gesetzliche Vertreter dem Mündel keinen bestimmten Anlageerfolg schuldet, ist er doch verpflichtet, sich redlich darum zu bemühen, daß zumindest der nominelle Wert des investierten Kapitals erhalten bleibt; ansonsten würde das gesetzliche Gebot, Mündelgeld sicher und möglichst fruchtbringend anzulegen, vollkommen negiert. Die Erhaltung des nominellen Werts (nach Kosten und Steuern) wird daher trivialerweise das Minimum der Ertragsziele für Mündelgeld repräsentieren. Daraus folgt allerdings sofort, daß bei der Investition von Mündelgeld zumindest jenes Maß an Risiko einzugehen ist, das zur Implementierung dieses bescheidenen Ertragsziels ex ante erforderlich erscheint.
  • Andererseits zählt es sicherlich nicht zum Pflichtenkatalog des gesetzlichen Vertreters, sich um eine Anlegung zu bemühen, deren Ziel (nach Kosten und Steuern) nicht nur die Erhaltung, sondern die Vermehrung des realen Werts ist. In Anbetracht des in der Judikatur verankerten Vorrangs von Sicherheit gegenüber Ertragserzielung sollte daher bei der Mündelgeldanlage nicht mehr Risiko eingegangen werden, als zur Erhaltung des Realwerts ex ante erforderlich erscheint. Das maximale Ertragsziel für Mündelgeld wird folglich die Erhaltung seines Realwerts

Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Anlegers:

Wie soeben argumentiert wurde, liegen die möglichen Ertragsziele für Mündelgeld– nach Kosten und Steuern – innerhalb eines Intervalls, dessen Minimum die bloße Erhaltung des nominellen Werts und dessen Maximum die Erhaltung des realen Werts ist. Der gesetzliche Vertreter legt das konkrete Ertragsziel unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Mündels innerhalb dieses Intervalls fest. Dabei wird der zeitliche Anlagehorizont der schutzberechtigten Person von entscheidender Bedeutung sein:

  • Ein langer Anlagehorizont gestattet die Investition in volatilere Vermögenswerte mit höherem Renditepotential, weshalb das konkrete Ertragsziel in einem solchen Fall nahe beim vorgenannten Maximum liegen wird.
  • Ein kurzer Anlagehorizont erfordert hingegen die Präferenz von Vermögenswerten mit geringer Volatilität, welche allerdings nach Abzug von Kosten und Steuern oftmals negative Realrenditen aufweisen. Das konkrete Ertragsziel würde diesfalls in Ermangelung anderer Möglichkeiten näher beim vorgenannten Minimum festzulegen sein, was sich in Einklang mit dem in der Judikatur verankerten Grundsatz befindet, daß die Mündelgeldanlage eben nur „nach Möglichkeit“ fruchtbar sein soll.

Beispiel: Bestimmung des Ertragsziels bei der Mündelgeldanlage

Sachverhalt:
Der 8-jährige M verfügt aufgrund einer Erbschaft zu Anfang des Jahres 2015 über Mündelgeld in Höhe von € 300.000 und wird auf dieses Geld bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit (19. Lebensjahr) nicht angewiesen sein. Sein gesetzlicher Vertreter V erhält von einem Wertpapierdienstleister bei einer Anlageberatung die persönliche Empfehlung, das Mündelgeld ausschließlich in Bundesanleihen und Pfandbriefe zu investieren, d.h. in inländische Anleihen höchster Bonität. Die umlaufgewichtete Durchschnittsrendite österreichischer Bundesanleihen betrug zu Anfang des Jahres 2015 nominell nur 0,2 %; zugleich lag die durchschnittliche Konsens-Schätzung von Inflation für die Jahre 2016 bis 2019 zwischen 0,8 % und 1,8 %.[3]

Beurteilung des Sachverhalts:
Da M bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit auf das Mündelgeld nicht angewiesen ist, beträgt der zeitliche Anlagehorizont 10 Jahre. Das Ertragsziel besteht in Anbetracht dieses langen Anlagehorizonts darin, den Realwert des Mündelgelds – nach Abzug von Kosten und von KESt – nach Möglichkeit zu erhalten. Aufgrund der im Sachverhalt geschilderten Kapitalmarktbedingungen war im Jahr 2015 vernünftigerweise kaum zu erwarten, daß die empfohlene Anlegung in Bundesanleihen und Pfandbriefe nach Abzug von Kosten und von KESt überhaupt die Erhaltung des nominellen Werts ermöglicht – geschweige die Erhaltung des realen Werts. Die empfohlene Anlegung ist daher im konkreten Fall aus folgenden Gründen problematisch:

  • Bei der Anlegung von Mündelgeld ist zumindest jenes Maß an Risiko einzugehen, daß zur Erhaltung des nominellen Werts erforderlich ist. Im konkreten Fall wäre aufgrund der Kapitalmarktbedingungen und des langen Anlagehorizonts etwas mehr Risiko einzugehen, um nicht nur den nominellen Wert, sondern nach Möglichkeit auch den Realwert zu erhalten. Die empfohlene Anlegung verstößt daher gegen das in § 215 Abs 1 ABGB enthaltene Gebot, Mündelgeld möglichst fruchtbringend anzulegen.
  • Wenn eine Investition in genehmigungsfreie Anlageformen nicht einmal die Erhaltung des nominellen Werts ermöglicht, steht die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Berücksichtigung von Anlageformen gemäß § 220 außer Frage. Nach ständiger Rechtsprechung stehen Anlageformen gemäß § 220 gleichrangig neben genehmigungsfreien Anlageformen;[4] es besteht also kein Grund dafür, das Anlageuniversum für Mündelgeld auf genehmigungsfreie Anlageformen zu beschränken. Die empfohlene Anlegung verstößt daher gegen das in § 215 Abs 2 ABGB enthaltene Gebot, Mündelgeld bei wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit in mehrere Anlageformen zu investieren.
  • Wertpapierdienstleister dürfen (potenziellen) Kunden bei einer Anlageberatung nur jene Finanzinstrumente zu empfehlen, welche für diese geeignet sind. Bei der dafür durchzuführenden Eignungsprüfung haben Wertpapierdienstleister insbes. die Anlageziele und die finanziellen Verhältnisse des Anlegers zu berücksichtigen. Da die empfohlene Anlegung diese persönlichen Umstände des Anlegers in keiner Weise berücksichtigt, verstößt sie gegen das in § 56 Abs 1 WAG enthaltene Gebot der Geeignetheit von Anlageempfehlungen.

Hoffentlich erwies sich der Inhalt dieser Seite für Sie als nützlich und beantwortete möglichst viele Ihrer Fragen. Wenn Sie weitere Fragen über die Anlegung von Mündelgeld haben, steht Ihnen der Autor Mag. Alexander Giuliani dafür als Sachverständiger und unabhängiger Vermögensberater zur Verfügung.

[2] OGH 17.03.2010, 7 Ob 29/10f.
[3] ÖNB; ECB Survey of Professional Forecasters.
[4] RIS-Justiz RS0111790.