Umschichtung

Eine Umschichtung ist der Erwerb von Anlageinstrumenten mit Liquidität, die für diesen Zweck zuvor durch den Verkauf anderer solcher Instrumente aus dem Mündelvermögen erzeugt worden ist. Dabei gilt folgendes:

  • Der gesetzliche Vertreter kann jederzeit Anlegungen aus dem Mündelvermögen verkaufen, d.h. er ist zu Umschichtungen nach eigenem Ermessen berechtigt.[5]
  • Anlageformen gemäß § 220 muss der gesetzliche Vertreter unter gewissen Voraussetzungen verkaufen, d.h. in diesen Fällen ist er zu einer Umschichtung verpflichtet.

Die vom Gesetzgeber für eine verpflichtende Umschichtung unterstellten Voraussetzungen sind allerdings insofern problematisch, als eine Gefährdung des Mündelvermögens bei Eintritt dieser Voraussetzungen gar nicht mehr abgewendet werden kann.

Unter welchen Voraussetzungen muss der gesetzliche Vertreter eine Umschichtung veranlassen?

Eine Verpflichtung zur Umschichtung besteht für den gesetzlichen Vertreter nur bei Anlageformen gemäß § 220, und zwar in folgenden Fällen:

  • Wenn die Vermögenswerte mit Mündelgeld erworben wurden, sind sie unverzüglich zu verkaufen, wenn dies durch die Marktentwicklung geboten sein sollte.[6] Diese Verpflichtung zum Verkauf entspricht einer Verpflichtung zur Umschichtung, da die bei einem Verkauf entstehende Liquidität Mündelgeld darstellt und dieses unverzüglich anzulegen ist.[7]
  • Wurden die Vermögenswerte hingegen nicht mit Mündelgeld erworben, ist eine Umschichtung dann zu veranlassen, wenn ansonsten ein für das Mündel nach Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse nicht unbeträchtliches Vermögen mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % dauerhaft geschmälert werden könnte.[8]

Diese beiden Tatbestände sind insofern kongruent, als ein Verkauf offensichtlich dann durch die Marktentwicklung geboten wäre, wenn ansonsten ein für das Mündel nach Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse nicht unbeträchtliches Vermögen mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % dauerhaft geschmälert werden könnte. Die Verpflichtung zur Umschichtungen ist demnach an folgende Tatbestandsmerkmale geknüpft:

  1. Der gesetzliche Vertreter verfügt hinsichtlich genehmigungspflichtiger Anlageformen aus dem Mündelvermögen über öffentliche Informationen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % auf einen bevorstehenden Kursverlust hindeuten, der beträchtlich und dauerhaft ist.[9]
  2. Diese Informationen sind von (fast) allen anderen Markteilnehmern noch nicht eingepreist worden, sodass der gesetzliche Vertreter das Vermögen rechtzeitig vor Eintritt des drohenden Kursverlusts verkaufen bzw. umschichten kann.

Gesetzliche Anforderungen sind in der Praxis kaum erfüllbar!

Der Eintritt dieser beiden Tatbestandsmerkmale ist unrealistisch, da Kapitalmärkte stetig sämtliche Informationen einpreisen, die öffentlich bekannt und für die Preisbildung relevant sind.[10] Wenn der gesetzliche Vertreter also eine Information im Sinne von Tatbestandsmerkmal (A) erhalten sollte, ist äußerst unwahrscheinlich, dass er entsprechend Tatbestandsmerkmal (B) rechtzeitig vor Eintritt des Kursverlusts verkauften könnte, weil die anderen Marktteilnehmer umgehend – d.h. innerhalb weniger Minuten oder gar Sekunden – auf diese Information reagieren würden.

Beispiel Wirecard

Am 18. Juni 2020 gab das deutsche Unternehmen Wirecard AG öffentlich bekannt, daß Zweifel an der Existenz von im Konzernabschluss zu konsolidierenden Bankguthaben in Höhe von insgesamt € 1,9 Milliarden (das entsprach etwa einem Viertel der Bilanzsumme) bestünden. Das Unternehmen sei daher nicht in der Lage, einen geprüften Geschäftsbericht für das Jahr 2019 vorzulegen, weshalb Banken bereits am 19. Juni 2020 Kredite in Höhe von rund € 2 Milliarden fällig stellen könnten. Der Aktienkurs von Wirecard AG gab infolge dieser Meldung innerhalb weniger Minuten um mehr als 50 % nach; eine Vermeidung hoher Verluste war daher für die betroffenen Anleger nicht möglich.

Ferner ist in der Praxis kaum einschätzbar, ob ein beträchtlicher Kursverlust eintreten wird, geschweige ob dieser dauerhaft sein wird. Vielmehr kann ein übereilter Verkauf erst recht zur Erzeugung eines dauerhaften Verlusts geeignet sein:

Beispiel RBI

Nachdem der Aktienkurs von Raiffeisen Bank International AG (RBI) zuvor zeitweise über € 100 betragen hatte, unterschritt er im Laufe des Jahres 2008 € 20 und im Jahr 2022 schließlich € 15. Dieser beträchtliche Wertverlust war weder in seiner Höhe noch in seiner Dauerhaftigkeit prognostizierbar.

Beispiel COVID

Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des COVID-19-Virus fielen europäische Aktienkurse im Laufe des Februar und März 2020 um mehr als 30 %. Eine danach einsetzende Kursrallye kompensierte diesen Verlust allerdings schon bis Juni 2020 zu mehr als der Hälfte und schließlich bis März 2021 vollständig.[11] Weder der Kurssturz noch die unmittelbar danach einsetzende Kursrallye waren prognostizierbar. Durch einen überhasteten Verkauf im März 2020 wären die Verluste allerdings realisiert und durch das Versäumen der Kursrallye „dauerhaft“ geworden.

Die Verpflichtungen zur Umschichtung gemäß § 220 Abs 2 ABGB und § 221 ABGB stellen an den gesetzlichen Vertreter somit Anforderungen, die kaum erfüllt werden können, da sie auf unrealistischen Prämissen über die Funktionsweise von Kapitalmärkten beruhen. Zur Wahrscheinlichkeit für den Eintritt von sowohl beträchtlichen als auch dauerhaften Kursverlusten läßt sich nur die Feststellung treffen, daß diese Wahrscheinlichkeit bei einem vollständig diversifizierten Portfolio stets geringer als 50 % ist; bei einem undiversifizierten Portfolio – insbes. bei einem einzelnen Emittenten – kann diese Wahrscheinlichkeit hingegen mehr als 50% betragen.

Praxistipp

Der gesetzliche Vertreter sollte ein nicht ausreichend diversifiziertes Mündelvermögen vorsorglich umschichten und nicht erst den Eintritt jener Umstände abwarten, unter welchen von Gesetzes wegen spätestens eine Umschichtung durchführen wäre – ansonsten könnte der schutzberechtigten Person ein beträchtlicher Vermögensschaden entstehen.

Beispiel: Vorsorgliche Umschichtung von Mündelvermögen

  • Sachverhalt-Variante 1: Das vor der erstmaligen Bestellung eines Erwachsenenvertreters erworbene Wertpapiervermögen des volljährigen M hat einen Wert von rund € 100.000 und besteht zu 100 % aus Aktien der Z-AG.
  • Sachverhalt-Variante 2: Das vor der erstmaligen Bestellung eines Erwachsenenvertreters erworbene Wertpapiervermögen des volljährigen M hat einen Wert von rund € 100.000 und besteht aus einem vollständig diversifizierten Aktien-Portfolio.
  • Sachverhalt-Variante 3: Das vor der erstmaligen Bestellung eines Erwachsenenvertreters erworbene Wertpapiervermögen des volljährigen M hat einen Wert von rund € 500.000 und besteht zu 20 % aus Aktien der Z-AG; die übrigen 80 % sind in ein vollständig diversifiziertes Portfolio aus Unternehmensanleihen hoher Bonität investiert.
Beurteilung des Sachverhalts:

Alle Sachverhalt-Varianten haben gemeinsam, daß das Wertpapiervermögen nicht mit Mündelgeld angeschafft wurde und daher nicht mündelsicher angelegt zu sein braucht. Vielmehr handelt es sich bei diesen Wertpapieren gemäß § 221 ABGB um ein „im Sinn des § 220“ angelegtes Vermögen. Der gesetzliche Vertreter muss dieses Vermögen nur unter den in § 221 genannten Voraussetzungen umschichten; er kann es aber jederzeit umschichten und sollte dies dann tun, wenn das Mündelvermögen nicht ausreichend diversifiziert angelegt ist. Die bei dem Verkauf dieser Wertpapiere entstehende Liquidität ist Mündelgeld, welches mündelsicher anzulegen ist.

  • In Variante 1 ist das Mündelvermögen insofern gefährdet, als es vollkommen dem firmenspezifischen Risiko der Z–AG ausgesetzt ist. Falls plötzlich Informationen bekannt werden sollten, die eine wesentliche Abwertung der Z-Aktien begründen, würde der gesetzliche Vertreter einen beträchtlichen Vermögensnachteil für das Mündel realistischerweise nicht verhindern können. Der gesetzliche Vertreter sollte die Z-Aktien daher bereits vorsorglich zumindest teilweise umschichten.
  • In Variante 2 besteht hingegen kein Erfordernis zur vorsorglichen Umschichtung, da das Wertpapiervermögen vollständig diversifiziert ist.
  • In Variante 3 besteht ebenfalls kein Erfordernis zur vorsorglichen Umschichtung, da die finanzielle Sicherheit von M selbst im Falle einer Insolvenz der Z-AG nicht gefährdet wäre und sein übriges Wertpapiervermögen vollständig diversifiziert ist.

Hoffentlich erwies sich der Inhalt dieser Seite für Sie als nützlich und beantwortete möglichst viele Ihrer Fragen. Wenn Sie weitere Fragen über die Anlegung von Mündelgeld haben, steht Ihnen der Autor Mag. Alexander Giuliani dafür als Sachverständiger und unabhängiger Vermögensberater zur Verfügung.

[5] § 1009 ABGB; siehe auch ErläutRV, 1461 BlgNR, 25. GP, S. 15.
[6] § 220 Abs 2 ABGB.
[7] § 215 Abs 1 ABGB.
[8] § 221 ABGB.
[9] Das Handeln auf der Grundlage öffentlich nicht bekannter Informationen (sog. Insider-Handel) ist verboten und scheidet daher als Tatbestandsmerkmal aus; siehe § 154 BörseG.
[10] Sog. Markteffizienzhypothese; siehe insbes. Eugene Fama, Efficient Capital Markets: A Review of Theory and Empirical Work, 1970. Diese Publikation des Nobelpreisträger Eugene Fama gilt als einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Beiträge zum Verständnis der Funktionsweise von Kapitalmärkten.
[11] Quelle: MSCI Europe Aktienindex.